Eine zweifelhafte Bewerbung

Freunde fragten, warum ich nicht einfach eine „Würdekompass“-Gruppe suche bzw. selbst eine initiiere. Neben den Zweifelpunkten, die ich im vorletzten Blog-Beitrag geäußert habe, sagte ich zuerst, dass das schwierig werden könnte, weil meine Wünsche zu unkonkret seien. Bald dämmerte mir, dass ich nicht unkonkret wünsche, sondern die Umsetzung meiner Wünsche zu tief in bestehende Strukturen griffe.

Ein Gedicht ohne Reim:

Wenn es stimmt,

dass es Kräfte gibt,

die daran gut verdienen,

dass es „nicht optimal läuft“ (frei nach Dagmar Neubronner im bemerkenswerten Gespräch hinter dem ersten der unten stehenden Links ab ca. 1:35:00)

– und das bestreitet kaum ein Mensch –,

wenn viele zu recht denken, dass Politik unter anderem aus diesem Grund die Wahrheit biegt, wo es gerade passt,

nicht per Gesetz für Gerechtigkeit sorgt, indem sie Gesetzeslücken schließt statt diese manchmal selbst zu nutzen,

ob in juristischen Einzelfällen, bei Lebensmittel-, Umwelt- oder sonstigen Skandalen,

weltweit menschliches Elend erst hervorruft, um es dann angeblich dringend bekämpfen zu wollen,

sprich: an Waffengeschäften verdient,

wenn Rainer Mausfeld volle Säle hat, wenn er über die Mechanismen spricht, die von Weltführenden angewandt werden, um die Geführten bewusst zu täuschen,

wenn Daniele Ganser nicht sagen darf, dass es doch mindestens verdächtig ist, dass die USAmerikanische Regierung die Aufklärung der Anschläge vom 11. September 2001 sabotierte, indem sie beispielsweise nicht nur den freien Fall des WTC7 nicht erklärte, sondern das Gebäude gar nicht erwähnte, was den offiziellen Bericht zunichtemacht,

wenn jeder im Grunde weiß,

dass kein Mensch auf der Erde hungern müsste,

wenn wir in Wirtschafts- und andere Kriege manipuliert werden, die neben unserer (großen!) Mitverantwortung bezüglich Kauf- und sonstiger Entscheidungen nicht unsere sind,

wenn es egal ist, welche Partei uns regiert, solange – aus deren Sicht – das neoliberale Credo herrschen darf, was soziale Errungenschaften bewusst untergräbt,

wenn wir also alle wissen:

es gibt diese destruktiven Kräfte,

und wir darüber hinaus wissen,

dass all dieses Wissen um all das nicht genügt,

den Feind zu kennen,

und zwar in uns und äußerlich,

nicht genügt,

um dagegen aufzustehen und sich so lange nicht wieder hinzusetzen,

bis sich überall, weltweit

die Menschlichkeit erhebt,

die Vernunft und Empathie,

dann kann man verzweifeln

oder

an Kognition und Aufklärung weiter glauben,

weil wir es noch viel weniger hinkriegten,

dass allen Menschen

alle anderen Menschen

ein wichtiges persönliches Anliegen sind.

Ich denke, dass zumindest ziemlich viel mit der Anleitung auf die Welt kommender Menschen steht und fällt. Kleinkinder kennen weder Rassismus noch andere Ressentiments. Besitzkonflikte haben sie, weil sie sich statt des noch nicht vorhandenen verbalen Ausdrucks über Objekte sozial verständigen, aber sie kennen und leben neben dem frühen Parallelspiel bereits instinkthaft Kooperation. (Ob die Grundanlage im Menschen eher zu Kooperation oder Egoismus tendiert, weiß ich nicht. Aber ich habe erfahren, dass diesbezügliche Anleitung eine große Rolle spielen kann.) Eine Grundvoraussetzung für gelungene Anleitung sind sicher Bezugspersonen, von denen man bestenfalls gewollt ist und die sich mindestens kümmern. Aber diese sind auch Kinder dieses Systems, die mehrheitlich die Angst weitergeben (oder mindestens die Befürchtung leben), dass man nur bestehen kann, indem man sich in das herrschende System möglichst nahtlos einfügt, also sich um das versorgt-Sein sorgt, möglichst viel konsumiert und besser nicht alles hinterfragen lernt. „Neue“ Menschen lernen Solidarität und das Gute, Günstige am Miteinander beim Heranwachsen oft nur als „Gutmenschentum“ kennen, das zu belächeln ist, weil diese „Gutmenschen“ „die Komplexität“ angeblich nicht verstünden.

Dieses Komplexe, von dem da die Rede ist, sind meist die bestehenden Machtstrukturen, deren angeknackst-Werden um jeden Preis verhindert werden soll.

Ich bin überzeugt, da ansetzen zu müssen: dass es nicht an der Grundversorgung scheitert, dass man – jenseits eines „Berufs“ – alles werden kann, wofür man denkt, dass sich der Einsatz lohnt und es einen zu dieser oder diesen Aufgabe/n zieht. Dass man Heranwachsenden auch vorleben kann, ohne Existenzängste mitgestalten zu können, weil man diesen selbst nicht ausgesetzt ist. Wenn auf der Ebene, die jetzt gesellschaftlich als „unten“ erlebt wird, grundsätzliche Versorgungsgleichheit geschaffen würde, anstatt auszunutzen, dass der wenig Besitzende auf den noch weniger Besitzenden eindrischt, und wenn es ein dementsprechendes Renten-, ein menschliches Medizinversorgungs- und ein faires Steuersystem (Stichworte „Mindestrente“, die medizinische Versorgung derer ohne Geld und „Finanztransaktionssteuer“) gäbe – ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass das der gesellschaftlichen Entwicklung und jedem Einzelnen so gut täte, wie ihr und ihm lange nichts gut getan hat.

Die Frage ist: ist gewünscht, was finanzierbar ist? Was steht einer tatsächlich sozialen Gemeinschaft im Wege?

Wie kommen wir weg davon, dass wir diesbezüglich an unsere Regierungen glauben, bei denen nur die Gesichter wechseln, und wie können wir bei diesen gesellschaftspolitisch relevanten Punkten eine Graswurzelbewegung initiieren? Ist die Umsetzung dieser Wünsche überhaupt als Graswurzelbewegung möglich? Könnte man ideologiefrei lehren und ist das vielleicht eine der Kernfragen? Kann man politische Hetze verhindern oder zumindest eindämmen, indem man sie immer mehr aufdecken darf? Wie verdeutlicht man Heranwachsenden in Unterrichtseinheiten, die ganz oft von „Bulimie-Lernen“ geprägt sind, nachhaltig die immens große Rolle der Medien? Wie erreicht man ein größeres Sprachbewusstsein? Wie verhindert man, parteipolitisch zugeordnet oder vor den nächsten Machtkarren gespannt zu werden?

Wie stärkt man das am besten, jedem Machtgefüge (und daher zum Beispiel auch einer „eigenen“ Regierung) kritisch begegnen zu dürfen, ohne in die „Verschwörungstheorie-Ecke“ gedrängt zu werden?

Wie stärkt man freidenkende Lehrer und Professoren, die ja in unserem System von diesem bezahlt werden und daher niemals völlig „frei“ sein können?

Wie bringt eine Gesellschaft mehr Menschen hervor, die freie Denker (und Fühler!) werden können und wollen, wenn diese wünschenswerten potentiellen Lehrer/Führer durch ihre eigene Erziehung und die der Eltern im sich-versorgen-Müssen und Kompensieren gleich Konsumieren feststecken?

Wie kann in einem solchen System der Teufelskreis durchbrochen werden?

Ich sehe es genau wie Sie, Herr Hüther: das Wissen ist da, aber wir haben ein Umsetzungsproblem. Das haben wir in ganz entscheidendem Maße aber aufgrund dieser Kräfte, von denen Dagmar Neubronner in Ihrer Diskussionsrunde sprach.

Es ist schön, etwas im Kleinen zu bewirken, was eventuell weitere kleine Kreise zieht, und ich möchte da nichts noch kleiner reden. Es ist in meinem Fall schön oder wäre es, etwas mit „Würde und Kunst“ zu machen; wer meine Einstellung und meinen Blog kennt, weiß, dass ich das Thema dort schriftstellerisch stärke, seit ich damit an den Start gegangen bin.

Ich glaube aber, dass die harmlosen Geschichten, wozu meine Bemühungen gehören, obwohl ich die Dinge deutlich anspreche, auch in größerem Stil eher zugelassen sind und werden, sprich: dass ich höchstwahrscheinlich keine Schwierigkeiten hätte, eine Gruppe „Würde und Kunst“ zu finden oder zu gründen. Nur bin ich davon überzeugt, dass es mittlerweile nur noch klare Worte an entsprechender Stelle bringen, und die müssen meines Erachtens an die Heranwachsenden in Geschichts-, Politik-, Religions-/Ethik- und Deutschunterricht gerichtet sein (was nur ginge, indem man eben ideologiefrei aufklärt, aber Personen und Dinge meines Erachtens trotzdem beim Namen nennen, mit Beispielen arbeiten dürfen müsste).

Wenn Sie, Herr Hüther, Herr Beilmann, mir einen Vorschlag machen könnten, wie ich persönlich mich einbringen kann, diesen „Kräften“, von denen Dagmar Neubronner gesprochen hat, durch eine „Würdekompass“-Gruppe besser (oder überhaupt erstmal) begegnen zu können, wäre ich dabei. Wenn man an diese relevanten Hebel nicht durch dieses Instrument gelänge, bliebe ich allerdings lieber eine Einzelkämpferin im Netz, die auf ihre Art für Würde eintritt (das heißt, wenn die neue DSGVO mir den Netzauftritt so überhaupt noch erlaubt).

Meine Hoffnung wäre es, dass Menschen nicht auf Freilernertum ausweichen müssten, bei dem sie immer mit mindestens einem Bein in der Illegalität stehen, sondern dass bestimmte Dinge anzusprechen und zu diskutieren in der angepassten Gesellschaft „salonfähig“ würde.

Die Links kann man als Ergänzung zu meiner „zweifelhaften Bewerbung“ sehen, die ich nun über die „Würdekompass“-Kontaktadresse an Sie, Herr Beilmann, schicke; ich hätte sie in jedem Fall an diesen meinen Blog-Beitrag zum Thema gehängt. Die weiteren Angaben zur Person reiche ich gerne bei Bedarf nach.

Mit illusionslosen aber herzlichen Grüßen,
Sabine Pint

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Entfernte Links von der ‚Anstalt‘, Eugen Drewermann, Daniele Ganser, Rainer Mausfeld, nachdenkseiten.de , Moritz Neumeier, Volker Pispers, Stefan Sell

zu

fehlender echter Demokratie in Deutschland (Bertelsmann-Stiftung), Krieg vs. Frieden, Menschenmanipulationen, Thema „nicht links, sondern logisch“, Wirksamkeit demokratischer Wahlen, Medieneinfluss, Soziale Frage

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Die Antwort von Herrn Beilmann ist demnächst Thema auf sabinepint.de

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Mail Art, Teil 1

Ich sende Ihnen einen Gedanken zu. Bitte denken Sie ihn weiter.“ [Robert Rehfeldt]

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Den Begriff der „Mail Art“ kannte ich bereits, und meine Vorstellung davon war eher schwammig, bis ich Ende letzten Jahres den Aufruf meiner Kreativkollegin Heike Sackmann auf deren Blog sah. (Heike ruft schon länger dazu auf; einen Eindruck bekommt man auf ihrer Website; unten ist es der erste Link.)

Irgendetwas muss mich diesmal stärker gezogen haben, so dass ich zum ersten Mal – unfassbar, tatsächlich – mitbekam, dass mehrere Personen an ein und demselben Bild arbeiten und so miteinander in eine Art Gespräch kommen – ein gezeichnetes, gemaltes Gespräch. Ich war sofort entzündet!

Der Quantenphysiker David Bohm, der grundlegend über die Frage, wie unser Denken arbeitet geforscht hat, schlägt den Dialog als Mittel und Möglichkeit vor, wie sich das Denken bei seinem Tun beobachten und verstehen lässt. Bohm verwendet den Begriff Dialog im ursprünglichen Wortsinn: „dia“ heißt „durch“ und „logos“ meint „das bedeutungsvolle Wort“. Der Begriff meint also das Fließen von Sinn und das Erschließen von Bedeutung um und durch uns Menschen. Ein solcher Sinnstrom führt vielleicht zu neuen Einsichten oder zu Verständnis. Im kommunikativen Prozess wird etwas Neues geschaffen, etwas, was weder absehbar noch planbar sondern kreativ ist. Dieser so geteilte Sinn ist das Band, das uns Menschen zusammenhält.“

Ich war also gespannt darauf, ob es tatsächlich zu Kommunikation käme…

In einer Gruppe wird auf diese Weise eine andere Art des Bewusstseins möglich, ein partizipierendes Bewusstsein. Jeder einzelne hat Teil an der daraus resultierenden energetischen Aufladung einer Gruppe, deren Kraft ungleich höher ist, als es der summierten Teilnehmeranzahl entspricht. Bei einer funktionierenden Gruppe ist das gemeinsame Denken ein Prozess gemeinsamer Partizipation. Wenn wir das Denken anderer erkennen, wird es zu unserem Denken, und wir behandeln es, als sei es unser Denken.“

Im aktuellen „Dialoge“-Projekt von Heike wurden mehrere Gruppen gebildet; „meine“ bestand aus Heike Sackmann, Zoé von Neuwirth-Szilágyi und mir. Heike schickte uns beiden Mitteilnehmerinnen je vier neue Pappen im DIN A 4-Format zu; selbst begann sie auch vier Zeichnungen/Malarbeiten.

Bei diesen ersten Bögen waren mir zwei Dinge bewusst: es mussten noch die Arbeiten der beiden folgenden Zeichnerinnen aufs Blatt passen, und ich hatte den Anspruch, obschon ich keine „Serie“ zu zeichnen plante, den Motiven eine Verbindung zu geben.

Auf mein erstes Blatt kam das Augenpaar eines Kleinkindes:

S1_1.jpg

Von den kleinen runden Augäpfeln in blau war es nur ein kleiner Schritt zu etwas Großem Rundem in blau,

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und von diesem Bild wiederum ein kleiner Schritt zu der Situation unserer Welt, die derzeit für mich vorherrschend unfriedlich ist, in vielerlei Hinsicht. Mit der Yoda-Figur entschloss ich mich zu einem Bild, das „die Weisheit“ – ganz weit gefasst als universelle Weisheit, die Weisheit aller Menschen, zu der sie fähig sind – bedroht zeigt:

S1_3.jpg

Als Letztes wollte ich ein Motiv, das man sowohl schön als auch schaurig interpretieren kann, und wählte den roten Blütenregen:

S1_4.jpg

Für meinen Anfang hatte ich Motive gewählt, die unterschiedlich sind und auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben, auf den zweiten aber schon.

Bei einer zeichnerischen Gemeinschaftsarbeit den Anfang zu machen ist relativ einfach; es ist wie der Beginn eines Gespräches, bei dem man selbst das Thema vorgibt. Man spricht eine Einladung aus, sich auf für das Gegenüber mehr oder weniger zusammenhängende Gedanken einzulassen.

Kurz darauf erreichten mich Heikes Erstzeichnungen; welch tolle Steilvorlagen zum Weiterdenken!

Leider kann ich Euch die Entwicklung unserer Gemeinschaftsarbeit und meine Gedanken zu den Vorlagen, die mich erreichten, hier noch nicht zeigen, da die Mappe noch ausgestellt wird. Ich schließe also diesen ersten Teil des Berichts so ab:

„… ich will immer Geschichten erzählen“, schrieb Heike begleitend in der von ihr eingerichteten Messenger-Gruppe zu diesem Dialog, und Zoé kommentierte: „Das ist doch toll!“ Ja, dem konnte und kann ich mich nur anschließen: es war eine tolle neue Erfahrung für mich, so ins Gespräch kommen zu dürfen; ich fühle es so, dass ich tatsächlich Kommunikation erlebt habe. Die Art der Zeichnungen/Malarbeiten zeigen unsere Individualität, aber die Themen griffen direkt so auf eine Art ineinander, reichten sich die Hände, bestätigten einander im Bemühen um Sensibilität menschlichen Themen gegenüber… dass ich mich nur bereichert aus diesem Projekt jetzt weiterbewegen (lassen) kann.

Dankeschön!

WaB

M1

M2

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Es geht nicht um Standpunkte, sondern um innere Bewegtheit, nicht um Auseinandersetzung sondern um Teilhabe.“

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[Entferner Link zu Heikes Blog -> Kollaborationen]

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[Entfernter Link: „Der dialogische Prozess“ auf gemeinschaftserfahrung.de ]

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